News

News from and about artis.

Agroforestry – zurück zu den Wurzeln!

13/12/2019

Frankfurt am Main, 11. Dezember 2019

Am Anfang ist ein wenig Phantasie gefragt: Wir stellen uns eine Fläche vor, auf der kräftige Bäume vor Wind schützen, den Boden verdichten, Schatten spenden, Holz liefern. Darunter wachsen Sträucher mit Früchten oder Kaffeebohnen. Am Boden Pilze; darunter vielleicht Kartoffeln. Schließlich noch inmitten dieses mehrstöckigen Pflanzenszenarios einige Eichelschweine. Und fertig ist die Idylle. Eine Idylle, die nachweislich funktioniert, hohe Erträge liefert und zusätzlich mit positiven „Nebengeräuschen“ aufwartet. Wen wundert es da, dass das Investoreninteresse an Agroforestry-Anlagen in letzter Zeit merklich zugenommen hat?

Was ist Agroforestry?

Mit Agroforestry bezeichnet man eine Art der Landnutzung, die Land- und Forstwirtschaft auf einer Fläche sinnstiftend und gewinnbringend kombiniert. Dabei unterscheidet man die agroforstwirtschaftlichen Mischformen in drei grundsätzliche Kategorien, nämlich
*silvorable Systeme mit Forstwirtschaft und Ackerbau – als Beispiel sei die seit 25 Jahren erfolgreich wirtschaftende Wakelyns Farm in Großbritannien genannt,
*silvopastorale Systeme mit Forstwirtschaft und Tierhaltung, wie z.B. die Eichelschwein-Haltung in Deutschland,
*agrosilvopastorale Systeme mit Forstwirtschaft, Ackerbau und Tierhaltung, anzutreffen u.a. im Bergland Serra da Estrela in Portugal.

Alle drei Systeme weisen weitere Unterkategorien auf, wie z.B. bei der silvorablen Variante in den westlichen Ländern
*die Alley-Cropping-Systeme mit parallel angeordneten Ackerbau- und Gehölz-Streifen,
*die Nutzung von Windschutz- und Wallhecken-Streifen zwischen den Feldern,
*das klassische Forest Farming, bei dem unter den Bäumen Früchte, Kräuter, Pilze, Heilpflanzen angebaut werden,
*die Gehölz-Streifen in Uferarealen, um schädliche Auswirkungen der Landnutzung für benachbarte Gewässer zu unterbinden.

Hinzu kommen in Übersee äußerst große und weit verbreitete Agroforestry-Systeme wie z.B. die Shifting-Cultivation- und Homegarden-Systeme in (sub-)tropischen Regionen. Oder auch die Aqua-Kulturen in den Mangrovenwäldern in Asien, Australien, Afrika, Mittel- und Südamerika.

Die Wiederentdeckung der Agroforestry-Systeme

Die Agroforestry-Idee ist keineswegs neu. Eigentlich ist sie sogar die Kernidee, die den „blauen Planeten“ mit all seiner Biodiversität erst ermöglicht hat. Und auch der Mensch ließ das wirkmächtige Zusammenspiel von Wald, Acker und Tierwelt über Jahrtausende unangetastet. Agroforstwirtschaftliche Landnutzung war z.B. in Europa noch im frühen Mittelalter gang und gäbe.

Mit der Einführung der Fruchtfolge (Dreifelderwirtschaft) wurde jedoch der Nährstofftransfer der Gehölze in Richtung Ackerboden merklich reduziert. Ab dem 19. Jahrhundert wurde dieser Prozess durch den additiven Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden, Herbiziden weiter beschleunigt. Im Ergebnis drifteten Land- und Forstwirtschaft immer weiter auseinander, getrieben von monokulturellen, nach kurzfristigen Höchsterträgen strebenden Konzepten.

So sind heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts traditionelle Agroforstsysteme in Mittel- und Nordeuropa nur noch selten anzutreffen. Und auch in Südeuropa, wo die Klimabedingungen Agroforestry lange Zeit unabdingbar machten, findet sich nur noch eine reduzierte Anzahl an Systemen.

Doch die Zeiten ändern sich. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die industrialisierte Forst- und Landwirtschaft ihre natürliche Grenze erreicht und überschritten hat. Und dass es gerade die traditionellen agroforstwirtschaftlichen Mechanismen im Verbund mit moderner Technologie sind, die die heutige Landwirtschaft von vielen Problemen befreien können – und zwar ohne Ernte- und Ertragsverluste.

Beispielsweise hat der Schweizer Agroforestry-Experte Ernst Götsch in Brasilien eine Kakao-Farm entwickelt, die dreimal so viel Erträge erwirtschaftet wie eine konventionell bewirtschaftete Farm. Und auch in Europa gibt es mittlerweile einige Agroforestry-Bauern, die nachweislich bis zu 40% mehr Ertrag erzielen als ihre Monokultur-Kollegen – bei geringeren Agrochemie-Kosten und deutlich besserer Resilienz ihrer Böden gegen Schädlinge, Erosion, Wetterextreme.

Wichtige Beiträge zur CO²-Reduktion

Auch die zunehmende Erderwärmung lässt Agroforestry für die allgemeine Öffentlichkeit wie für Investoren interessanter werden. Denn neben den klassischen rationales wie dem inflationsresistenten Charakter eines Sachwert-Investments und den seit 20 Jahren leicht steigenden Indizes der Holzwirtschaft sind es die positiven bzw. kompensatorischen Effekte auf
*die Bodenerosion und den Rückgang der Humusschicht,
*das sogenannte „sechste Massenaussterben“ der Arten,
*die hohe CO²-Konzentration in der Atmosphäre – die Gehölze fungieren mittels Photosynthese als Kohlenstoffsenke,
*die jährlichen Verluste an Regenwald, derzeit etwa 8 Mio. ha pro Jahr,
die heute noch nicht eingepreist sind, aber künftig über steigende Nachfragen nach hochqualitativen Lebensmitteln oder dem Rohstoff Holz für weiteren Wertzuwachs sorgen werden. Vom emotionalen Mehrwert, den Klimawandel zu mildern, wichtige Lebensräume zu schützen oder auch deklassierten Menschen wieder eine Zukunft zu geben, ganz zu schweigen.

Agroforestry schafft Win-Win-Situationen

Agroforstwirtschaftliche Systeme besitzen die Fähigkeit, Beziehungen zwischen unterschiedlichen Beteiligten mit wechselseitigem Nutzen herzustellen. So profitieren Landbesitzer und Bewirtschafter durch
*eine erweiterte Produktpalette (Holz, Früchte u.a.),
*eine optimierte Nährstoffnutzungseffizienz mit korrespondierenden Ertragseffekten,
*die geringeren Kosten für Agrochemie,
*eine neue Stabilität gegenüber extremen Wettereinflüssen und veränderter Fauna,
*eine verbesserte Einkommenssituation mit Spielräumen für Beschäftigung und Personalentwicklung,
*eine bessere Verteilung von Arbeit über das Jahr.

Gleichzeitig gewinnt der Naturschutz durch
*Erholung und Wiederzunahme der Artenvielfalt,
*die Schaffung natürlicher Lebens- und Rückzugsräume für bedrohte Tier- und Pflanzenarten,
*die Förderung von Nützlingen,
*die Extensivierung agroforstwirtschaftlicher Produktion inklusive Entlastung von Grund- und Oberflächenwasser.

Und auch volkswirtschaftliche Effekte sind zu beobachten, nämlich
*das Entstehen neuer regionaler Märkte für agroforstwirtschaftliche Produkte,
*die Entwicklung neuer Wertschöpfungsketten mit weiterverarbeitenden Betrieben in der Region,
*die Unterstützung eines sanften Tourismus vor Ort.

Trotz all dieser Vorteile und Verlockungen soll die wissensintensive Komplexität von Agroforestry-Projekten nicht verschwiegen werden. Weitere Herausforderungen sind die hohen Startkosten, die bisweilen höheren Betriebsaufwände, die langfristige Bindung des eingesetzten Kapitals und der Faktor Zeit bis zur Realisierung von Erlösen.

Agroforestry lockt die institutionellen Anleger

Wald und Flur sind seit alters her traditionelle Wertanlagen. Mit den modernen Finanzmärkten entwickelten sich verbriefte Vermögensrechte (Aktien, Derivate etc.). In jüngster Zeit drängen Aufforstungs- und Agroforestry-Fonds an den Markt. Speziell Letztere gewinnen mit ihren Renditeprognosen, ihrer Nachhaltigkeit, ihrer Flexibilität die Aufmerksamkeit vieler institutioneller Investoren.

Sebastian Thürmer, Geschäftsführer des institutionellen Placement Agents artis Institutional Capital Management GmbH in Frankfurt am Main, der seit einigen Wochen mit einem international tätigen Agroforestry-Fonds kooperiert, betrachtet dieses als logische Entwicklung:

„In den vergangenen 12 Monaten haben wir einen Wandel bei einigen institutionellen Investoren gesehen, die sich den Themen Klimawandel, ESG sowie der nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft öffnen bzw. sich mit dieser Anlageklasse beschäftigen. Dabei sehen wir drei Treiber für die Anlageklasse Agroforestry: Das schwierige Marktumfeld der letzten Jahre, gerade im Zinsumfeld, gekennzeichnet durch die Suche nach stabilen und ausschüttungsfähigen Anlageobjekten. Zweitens, das Umdenken vieler Investoren auch in puncto Nachhaltigkeit einen direkten, messbaren Impact zu erzielen. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren ein Großteil der Investoren seine Quoten in den Bereichen Immobilien, Private Debt, Infrastruktur und Private Equity deutlich erhöht hat und nun nach weiterer Diversifizierung sucht. Genau diese drei Aspekte bietet die Anlageklasse Agroforestry. Es werden attraktive und stabile Renditen, häufig 4 % und mehr, erzielt. Gleichzeitig werden vor Ort Maßnahmen getroffen, die einen messbaren positiven und nachhaltigen Einfluss auf die Produktion, die Menschen und die Wirtschaftskraft des Landes haben. Zusätzlich weist die Anlageklasse wenig bis keine Korrelation zu anderen Anlageklassen auf, so dass auch eine Beimischung im Portfolio lohnenswert sein kann.“

Know-how ist der Schlüsselfaktor für agroforstwirtschaftliche Projekte

Erfolgreiche Agroforestry-Projekte setzen spezifisches Fachwissen voraus, da hochkomplexe Systeme bewirtschaftet werden, die sich überdies mit regionalen Standortfaktoren – meist in Übersee – auseinandersetzen müssen. Für Thürmer ein neuralgischer Punkt: „Natürlich finden diese Investitionen überwiegend in Ländern statt, die für manche Investoren Neuland sind und auch wirtschaftlich wie politisch weniger stabil sein können. Gerade deshalb ist es wichtig einen erfahrenen Partner zu haben, der die Region kennt, Mitarbeiter vor Ort hat und darüber hinaus gut vernetzt ist, um auch eigenständig Verträge mit Abnehmern zu verhandeln. Dadurch werden Risiken gemindert und die Bewirtschaftung kann langfristig profitabel werden.“

Grundsätzlich auf der sicheren Seite

Unter dem Strich lässt sich Agroforestry als lukratives Anlageobjekt mit überschaubarem Risiko und positivem Image-Effekt charakterisieren. CO²-Reduktion und die zumeist gewährleistete Einhaltung der Sustainable Development Goals (SDG) und der ESG-Kriterien (Environment Social Governance) verleihen dieser Anlageklasse zusätzlichen Sex-Appeal. Voraussetzung für ein Investment sollte eine langfristige, wertorientierte Anlagestrategie sein, die sich an erfahrene Partner wendet und eventuelle kurzfristige Rückschläge durch Naturereignisse verkraften kann.

Die Richtung stimmt in jedem Fall, was abschließend noch einmal der renommierte New Climate Economy Report 2018 deutlich macht, der für die gesamte „low-carbon-economy“ in den nächsten zehn Jahren weltweit 65 Mio. neue Jobs und 24.000 Mrd. Euro Wirtschaftswachstum voraussagt.

– Bernd Engel, Freier Autor ‒

Hier geht’s zum Artikel